Unkommerzielles Magazin für Phantastische Literatur und Rollenspiel

Der Menhir 6

Im dünn besiedelten Sektor am Rand der erforschten Galaxis hatte eine Sonne einige Trabanten eingefangen. Es war eine sterbende Sonne, ganze Zivilisationen würden ihren Todeskampf beobachten können. - Auf dem entfernten Planeten, der lautlos seine weiten Bahnen um das Gestirn zog, gab es nur halbintelligentes Leben, kurz Tiere genannt. Der grüne Planet selber besaß keine Bezeichnung. Vielleicht war sie in Vergessenheit geraten...

Das kleine Schiff löste sich vom bestirnten Hintergrund. Langsam steuerte die Vagabond zur sonnabgewandten Hälfte des Planeten und verschwand auf der Schattenseite. Dann tauchte sie in die Atmosphäre ein.

Die Frau auf dem Pilotensessel drehte sich zum Androiden, der Zahlenkolonnen auf seinem Monitor studierte.

"Wie sieht es aus, Ciro?" Sie war von mittlerer Größe, wirkte im Sitzen aber klein gegen den riesigen Androiden.

"Druck und Temperatur im akzeptabelen Bereich. Das Gemisch ist atembar, hoher Sauerstoffgehalt. Ich schlage eine Atemmaske vor, zur Sicherheit."

"Was ist mit Lebensformen, Städten etc.?" Die Pilotin fuhr sich mit der Hand durch das dunkelgekrauste, kurze Haar. Bevor es auf Erkundung ging, würde sie erstmal ein paar Stunden schlafen.

Die Antwort des Androiden kam rasch. "Un- und Halbintelligentes Leben auf Kohlenstoffbasis. Stufen 1-5. Keine künstlichen Formationen, Siedlungen oder Häfen in diesem Gebiet des Planeten."

"Gehen wir mal runter und schauen nach" entschied Shirin.

"Der Scanner zeigt etwas Ungewöhnliches in der Nähe. Eine Ansammlung von Metallen und Ceramokunststoffen." bemerkte die emotionslose Stimme ihres Copiloten.

Ciro war ein "Erbstück" von Shirins Vaters, der den Androiden als Leibwächter eingesetzt hatte. Nyam Hara, eine Unterweltsgröße, war kürzlich verstorben und ein Mitglied seiner Bande hatte die Macht an sich gerissen. Nun wollte der Emporkömmling Tyrim Dum Haras Tochter beiseite schaffen. Da sie nur mit viel Glück seiner Falle entkommen war, hatte sie beschlossen, sich ein Versteck zu suchen, bis sich die Wogen etwas geglättet hatten.

"Kurswechsel zum neuen Zielpunkt. Welche Koordinaten?" Aufmerksamer gab Shirin den neuen Kurs ein. Sollte es doch jemanden hier unten geben, so wollte sie wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Die Verräter, die Shirin ermorden wollten, suchten nach ihr und der Vagabond aber gewiß nicht in diesem abgelegenen Sonnensystem. Da sie eine ganze Weile hier verbringen wollte, war es das Gebot der Vorsicht, die Nachbarn rechtzeitig kennenzulernen.

Sie überflogen das Raumschiff in geringer Entfernung und versuchten vergeblich, Funkkontakt herzustellen. Laut Scanner gab es dort unten weder humanoides Leben noch Anzeichen für funktionstüchtige Schiffsanlagen. Zur Zeit war das große Schiff tot. Bei seiner Landung hatte es eine breite Schneise in die Vegetationsfläche gefräst. Hier war genug Platz und die Piloten ließen die Vagabond in der Nähe auf dem Boden aufsetzen.

 

Shirin verschob die geplante Ruhepause um dem Raumschiff einen kurzen Besuch abzustatten. Rasch zog einen strapazierfähigen Overall über und steckte ihren Blaster in den Gürtel. Dann schob sie die Atemmaske daneben und nickte Ciro, ihr zu folgen.

Draußen war es Nacht. Shirin schaltete ihre Gürtellampe ein und öffnete das Druckschott. Nun trennte sie nur noch die Luke von der Außenwelt. Rasch war auch dieses Hindernis beseitigt. Den letzten halben Meter überwand die Frau mit einem Sprung. Der feuchte Untergrund federte weich unter ihren Stiefeln. Sie trat zur Seite um dem Androiden Platz zu machen und musterte die verwüstete Umgebung.

Der Boden der künstlichen Schneise war von verkohlten Nadeln bedeckt. Am Rand der Passage türmten sich ausgerissene Bäume mit trockenem Wurzelgeflecht. Im hellen Kegel der Gürtelleuchte schienen die Wurzeln wie Greisenfinger zum Himmel gestreckt. Der Boden war uneben, tiefe Gruben markierten die Plätze wo Bäume gewesen waren. Wasser stand in den Löchern, reflektierte matt das Licht. Ringsum war ein riesiger Wald aus hohen Nadelbäumen, dunkel gegen den wolkenverhangenen Nachthimmel.

"Eine saubere Bruchlandung, will ich meinen. Mal sehen wie das Schiff ausschaut."

Frau und Android wanderten zum Ende des gewaltigen Weges. Wasser quoll bei jedem Schritt aus dem Boden. Es dauerte länger als erwartet, bis sie die Gruben umgangen hatten und vor dem Raumschiff standen. Wie ein gestrandeter Wal ragte das Wrack vor ihnen auf. Es war von außen beschädigt, konnte aber wohl wieder flugfähig gemacht werden. Letztlich hing jedoch alles an den Maschinen und Anlagen.

Shirin nahm nun den Blaster zur Hand. Sie näherten sich dem Eingang. Der Androide hielt

ein Plasmagewehr im Anschlag während Shirin den Türöffner betätigte. Das hohe und breite

Schott öffnete sich lautlos. Das Innere des Raumschiffs war erleuchtet. Zumindest etwas funktionierte noch. Shirin kündigte ihre Ankunft mit einigen Rufen an und betrat das Schiff.

Eine Stunde später hatten sie einen Teil der Räume untersucht, ohne ein Lebewesen zu entdecken. Der Scanner hatte recht behalten: kein Lebewesen außer ihnen befand sich an Bord.

 

"Ich verstehe das nicht. Es hat Überlebende gegeben, die nachweislich am Schiff gearbeitet haben. Wieso führt die Besatzung Reparaturen durch nur um irgendwann spurlos zu verschwinden?" Shirin saß auf der Brücke und stöberte im Bordcomputer. Laut Diagnose war der Fusionsreaktor in stabilem Zustand. Lediglich kleinere Ausbesserungen hätten noch durchgeführt werden müssen um das Schiff startklar zu machen. Das war die Arbeit weniger Tage. Es gab praktisch noch unbegrenzt Nahrungsmittel an Bord aber keine Besatzung.- Warum hatte sie das Raumschiff verlassen?

Nach einigen Minuten gelang es ihr, den Code der obersten Prioritätsstufe zu knacken. Shirin hatte nun Kontrolle über alle Funktionen des Schiffes. Während sie im Logbuch las, schickte sie den Androiden zu den restlichen Räumen der Athena. "Wenn du was Interessantes findest, komm zurück oder melde dich über Interkom."

Die Athena war ein Forschungsschiff, ihre Wissenschaftler wollten die Auswirkung der veränderten UV-Strahlung auf die Planetenvegetation beobachten. Per Knopfdruck "blätterte" Shirin die Aufzeichnungen durch. Es gab nichts außergewöhnliches: Diagramme und Protokolle der Experimente, Tagesabläufe. Es mußte ein sehr langweiliger Aufenthalt gewesen sein.

Einer der Leute hatte ein Diagramm über das wachsende Schlafbedürfnis der Besatzung hineingeschmuggelt. Offensichtlich ein Scherz, denn laut des Schaubildes schliefen die verantwortliche Wissenschaftlerin, der Bordcomputer und der Planet selber unablässig. Die einzige Unterbrechung der Routine waren die kurzen Expeditionen in den Wald. Auch hier kaum ungewöhnlich Aufregendes: jemand war in einen Bach gefallen, ein anderer von einer hundeähnlichen Spezies leicht verletzt worden. Ein Biochemiker namens Daniels hatte das scheue Tier ein Stück verfolgt um es zu streicheln. Dabei war er in den Daumen gebissen worden, der Hund im Wald verschwunden. Das Streicheln von Tieren wurde daraufhin untersagt.

Shirin gähnte. Sie konnte mit dem Expertengeplänkel wenig anfangen und arbeitete sich zum Ende des Logs durch. Nichts deutete darin auf eine Abreise hin. Die Reparaturen am Schiff machten gute Fortschritte, die Experimente verliefen planmäßig. Sogar Daniels Malheur war ohne Folgen geblieben. Nicht einmal eine Infektion hatte er sich eingehandelt. Der Abschlußbericht des Tages war noch eingegeben worden, dann brachen alle Aufzeichnungen ab.

Shirin fühlte sich plötzlich zu müde, um sich auf das Logbuch zu konzentrieren. Ein wenig Bewegung würde helfen, und sie beschloß, sich draußen etwas umzusehen. Eine kurze Nachricht informierte Ciro, dann verließ sie die Brücke und kurz darauf auch die Athena.

Elf Menschen, wie sie der Besatzungsliste entnommen hatte, waren einfach fort, ohne Spuren zu hinterlassen. Vielleicht fanden sich in der Umgebung des Schiffes Hinweise auf ihren Verbleib.

Die Luft war feucht und Shirin empfand ihre Kühle als Wohltat. Ein dünner Wasserfilm legte sich auf ihre Haut, winzige Tröpfchen fingen sich in ihren Haaren und Brauen. Erfrischt kletterte sie über aufgewühlte Erde und umgestürzte Bäume aus der Schneise heraus. Um sie herum gab es nur den Wald. Am Horizont zeigte sich jetzt ein Mond. Sein Licht schien milchig durch den dunstigen Himmel. Nebel wogte zwischen den Baumsäulen und es war still bis auf den leisen Ton der Wassertropfen, die von den Ästen zu Boden stürzten.

Ciro meldete sich. Er war ein Stück weiter gekommen, doch kostete es einige Zeit, jeden der Räume visuell zu überprüfen. Er war bisher nur Robotern begegnet, die man an Bord zu Reinigungszwecken eingesetzt hatte, würde aber weitersuchen.

Ein leises Rascheln weckte Shirins Vorsicht und sie griff zur Waffe. Ein Stück in den Wald hinein vernahm sie Plätschern und seltsame Laute. Sie trat hinter einen der bemoosten Stämme und bedeckte ihre Lampe mit der freien Hand. Ein wenig unheimlich war ihr zumute und sie beschloß zurückzukehren, bevor sie noch Gespenster sah. Bei Tageslicht war der Wald sicher genauer zu untersuchen. Dann hörte sie das Winseln. Mit dem Rücken zum Baum leuchtete sie in seine Richtung, den Blaster schußbereit.

Der Lichtstrahl schnitt einen Pfad durch den Nebel und hob ein Pelzbündel aus der Nacht. Vorsichtig sichernd trat Shirin näher heran. In einem der kleinen Waldteiche erblickte sie ein hundegroßes, durchnäßtes Geschöpf. Das Tier hatte den Kopf zwischen zwei toten Ästen eingeklemmt und paddelte in panischer Angst im Wasser. Der Teichrand war abgebröckelt, das Tier mußte unglücklich gestürzt sein. Wieder jaulte es ängstlich, sein Kopf befand sich knapp über der Wasserfläche, die großen Augen waren hilfesuchend auf Shirin gerichtet.

Sie stieg langsam in den Teich, schlidderte ein Stück zur Mitte, fing sich aber wieder. Kurz überlegend, schob sie den Blaster zurück und griff stattdessen ihre Atemmaske. Dann wartete sie auf den richtigen Moment und zog die weiche Maske mit beiden Händen über den Kopf des Tieres. Schnell steckte sie den Verschluß zusammen. "Mich beißt du sicher nicht"

Bei dem Versuch, den Hund zu befreien, rutschte sie immer wieder auf dem schlammigen Boden aus. Das Tier erleichterte ihre Bemühungen keineswegs. Es strampelte aufgeregt und Shirin spürte einige Male seine Krallen an den Beinen. Schließlich hatte sie es jedoch geschafft und mit einem gewaltigen Satz sprang der Hund an die Böschung, danach aus dem Loch. Er wirkte nicht länger ängstlich, und fegte die Atemmaske mit dem Hinterbein herab. Platschend rollte sie in das Wasser.

Shirin richtete sich auf und erstarrte.

Ein zweiter Mond war aufgegangen. Lavarot und an einigen Stellen dunkler gefleckt, wirkte er wie von einem parasitären Pilz befallen... Er tauchte den Wald in ein kränklich, rotes Licht. Um Shirin herum hatte sich ein Kreis grauer Gestalten gebildet. Der befreite Hund gesellte sich zu seinen Gefährten. Phosporgrün warfen seine Augen das Licht der Lampe zurück. Schattenhaft leise rückten die Tiere näher.

Shirin blieb gerade noch Zeit einen kurzen Notruf zu beginnen, da löste sich das erste Schemen vom Boden und sprang in ihre Richtung. Ein triumphierender Chor grollender Stimmen erhob sich im Hintergrund und wurde ausgelöscht als der Angreifer Shirin mitriß.

 

Ciro war bis zu einem der hinteren Frachträume vorgedrungen. Ersatzteile, technische Einrichtungen und ungeöffnete Frachtcontainer verwandelten den großen Raum in ein Labyrinth. Wie stets bei der Untersuchung scannte der Android zuerst nach Lebensformen und dann nach Robotern. - Schließlich schritt er, eilig zwischen den aufragenden Hindernissen mäandernd, die Fläche ab und erstellte in seinen Speichern einen genauen Plan des Schiffes.

Kein Schrecken erfaßte ihn beim Anblick der menschlichen Überreste, die ihn vor einer teilweise geöffneten Türe erwarteten. Geradewegs trat Ciro auf die am Boden liegende Gestalt zu und registrierte das Bild, das sich ihm bot.

Die Person lag ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten, die Beine verkrümmt und die Arme unter dem Leib. Die Leiche war bereits verwest, mit teilweise offenliegenden Knochen. Der Körper wurde nur noch von der pastellfarbenen Uniform zusammengehalten. Das Markanteste aber war der metallene Stab, der durch die Rippen gestoßen war und aus dem Rücken ein Stück herausragte.

Als Ciro näher kam bemerkten seine Rezeptoren auch den starken Geruch. Vorsichtig drehte er die Leiche herum. Mit leisem Geräusch hob der Körper sich vom feuchten Untergrund. Seine Hände waren um den Metallstab gekrallt gewesen und lösten sich bei der Bewegung. Nun konnte der Android das kleine Namensschild auf der Uniform lesen: M. DANIELS.

Ciro wendete sich der Türe zu als der Summer seines Kommunikators ertönte.

"Ciro Not 5..." konnte er hören, dann brach die Übermittlung ab. Der Androide verlor keine Zeit, aktivierte das Peilsignal für Shirin und sprintete mit großen Sprüngen zurück zum Eingang der Athena.

Um den Kopf zu schützen riß Shirin die Arme hoch. Krallen, Fänge und Zähne stürzten auf sie ein, suchten ihre Kehle. Geifer spritzte. Sie verlor das Gleichgewicht und tauchte in den kalten schlammigen Tümpel. Pfoten drückten sie unter Wasser, kratzten über Haut und Kleidung. Sie zog die Beine an und tastete mit der freien Hand nach der Waffe. Die Luft ging ihr aus. Irgendwie mußte sie wieder auf die Beine kommen. Vorerst trat sie jedoch erstmal nach den Angreifern. Aber auch das kostete Luft! Auf dem glitschigen Boden war einfach kein Halt zu finden. - Langsam drohte die Panik übermächtig zu werden. Das Gesicht im Schlamm, suchte sie noch immer nach dem Blaster. Doch das Holster lag verdreht unter ihrer Seite und ihre Rechte bekam nur einen algenbewachsenen Ast zu fassen.

Shirin stützte sich auf einen Ellbogen und es gelang ihr endlich, den Kopf über Wasser zu heben und Atem zu holen. Mit dem anderen Arm wirbelte sie das morsche Holzstück umher. Einige Köpfe wichen zurück, dann brach das marode Holz. Die Tiere stießen nach. Zu Shirins Glück waren es zu viele im Wasserloch und sie behinderten sich gegenseitig. Ein Pelzmaul kam ihr so nahe, daß die kurzen Haare ihre Haut streiften. Sie spürte Schmerz und zuckte weg. Ziellos warf sie den Astrest zwischen die Meute. Wieder tauchte sie unter. Ihre Hand zog durch das Wasser, berührte etwas Weiches, Glattes. Eine Atemmaske!

Aufgeregt angelte Shirin nach der Maske, ihre Finger waren kalt und ungeschickt. Schließlich fischte sie das Halteband und zog das Mini-Atemgerät heran. Der Verschluß war noch zusammengesteckt und so konnte sie die Maske beim nächsten, kurzen Auftauchen überstreifen. Sie drückte den kleinen Schalter und Luft strömte in das Gerät. Sie atmete schnell und nervös.

Die Angreifer hatten inzwischen ihre Taktik geändert. Einige Tiere verließen das Wasser und postierten sich an seinem Rand, drei Hunde blieben unten in Stellung. Shirin wand sich unter Wasser um das verdrehte Holster endlich zu befreien. Eines der Tiere schien sich nun auf ihre Gliedmaßen zu beschränken, die beiden anderen attackierten überwiegend den Kopf des Opfers.

Zähne verbissen sich in Shirins Unterschenkel und hielten fest. Sie schrie. Endlich gelang es ihr den Blaster zu ziehen. Sie stieß den Lauf über die Wasseroberfläche und schoß auf den nächstliegenden dunklen Fleck. Auch als ein gequältes Aufheulen ihren Treffer verriet, behielt

sie den Finger auf dem Auslöser. Der Griff um ihr Bein wurde fester. Shirin kam hoch und riskierte einen Blick. Einer der Hunde war an den Grubenrand zurückgedrängt, er winselte und versuchte, die rutschige Wand zu erklimmen. Tief geduckt stand einer der beiden anderen über ihren Beinen. Bei ihrem Anblick knurrte er vernehmlich, veränderte aber seine Position nicht.

Von hinten kam ein Angriff. Shirin fuhr herum und schoß. Der springende Körper wurde vom Strahl der Waffe erfaßt und glühte kurz auf, als stehe jedes Haar in lichten Flammen. Die Frau konnte alles deutlich erkennen: die gebleckten Zähne, die in Falten gelegte Haut um den Fang und die Augen... Wütend und dann schmerzerfüllt kamen Laute tief aus der Kehle des Tieres, verstummten, als der geschmeidige Leib zuckte und schwer in das aufgewühlte Wasser stürzte.

Sie hatte es nicht gemerkt, aber der dritte Hund war von seinem Platz verschwunden. Unwillkührlich schweifte ihr Blick durch die Dunkelheit. Vorsichtig bewegte sie das verletzte Bein. Dem getroffenen Tier war inzwischen die Flucht gelungen, von den anderen Hunden war nichts mehr zu sehen. Langsam zog Shirin die Beine an den Körper und erhob sich, kniete auf einem Bein. Nervös sucht sie die Gegner in der Nacht. Scheinbar direkt neben ihr erklang ein Heulen, ein Ruf wie aus einer anderen, fremden Zeit. Weitere Stimmen fielen ein, manche nah, andere leise und aus weiter Ferne. Viele Stimmen!

Sie ließen ihr keine Ruhepause. Ein Schatten, aus den Augenwinkeln nur zu sehen, sprang aus dem Dunkel und suchte ihre Waffenhand zu fassen. Shirin führte ein Ausweichmanöver durch, doch es kostete sie den sicheren Stand und sie rutschte ins Wasser zurück, blieb auf dem Rücken liegen. Hell tanzte der Schein ihrer Gürtelleuchte auf dem aufgewühlten Gewässer. Von der anderen Seite sprang der verschwundene dritte Gegner in den Teich und drückte ihren Körper herunter.

 

Ciro rannte. In den verwinkelten Schiffsfluren war er nicht schnell gewesen, doch schließlich hatte er den Eingang erreicht. Das Funksignal brannte wie ein Fanal in seinem nichtmenschlichen Geist und leitete ihn um den mächtigen Leib des Schiffes, zum Rand des Grabens. Er verlor Zeit beim Versuch den Rand hinaufzusteigen und war gezwungen, eine weniger steile Stelle suchen.

Sein schweres Schuhwerk grub sich in den weichen Boden, braune Tannennadeln stoben. Für Ciros Augen war der Wald nicht nachtdunkel, sondern in grünes Licht getaucht. Er konnte Tiergeheul hören, aus der gleichen Richtung kam der Ursprung des Signales. Es wurde deutlicher. Der Android stoppte und ergriff seine Waffe. Das Plasmagewehr vor der Brust sprintete er weiter. Tropfen spritzten über seine Kleidung als er sich einen Weg durch die federnden Nadelzweige bahnte.

Zwischen den Baumstämmen tauchten leuchtetend helle Wärmequellen auf, aber keine davon war hoch genug für einen Menschen. Er mußte näher heran und drang tiefer in den Wald vor.Die Lichtpunkte huschten durch das grüngefärbte Gebiet und inzwischen konnte Ciro mehr erkennen. Etwa zwanzig Tiere trabten aus verschiedenen Richtungen herbei. Sie sammelten sich an einem gewissen Punkt, warteten. Unvermittelt wendeten sie sich alle ihm zu, sprangen durch das fahle Unterholz ihm entgegen.

Noch waren sie für einen sicheren Schuß zu weit weg denn der dichte Wald gewährte ihnen Deckung und Schutz. Während sie ausschwärmten, konnte Ciro Boden gewinnen, mußte sich aber dann den Gegnern stellen. Er war nur noch Meter vom Ausgangspunkt des Signales entfernt. Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, hob er das Gewehr und schoß. Er hatte sich die Zeit zum Zielen genommen und so trafen seine Geschosse die vorderen Angreifer mit verheerender Wirkung. Die erste Reihe brach tot oder schwer verletzt zu Boden. An den Flanken herrschte Verwirrung, Tiere stoben auseinander. Der Android stürmte vorwärts, das Gewehr in der Linken, und zog im Lauf den schweren Blaster.

Eine kleine Gruppe hatte sich weiter vorne versammelt, aber sie bot kein deutliches Ziel. Dort mußte sich auch Shirin befinden. An den Seiten wurde Ciro nun von den außen laufenden Tieren angegriffen und mußte bremsen. Drei Tiere konnte er erschießen, doch setzten die wechselnden Attacken ihm so zu, daß er nicht weiter voran kam. Inzwischen hatten die verstreuten Angreifer sich wieder formiert und Ciro war nun umzingelt.

 

Shirin kämpfte mit aller Kraft gegen das Gewicht, das sie am Boden hielt. Immer wieder mußte sie ihre Kehle mit dem Arm vor dem schnappenden Kiefer schützen. Die verkrampfte Haltung ermüdete den Arm und zuletzt bissen die Zähne in ihren Oberarm und ließen nicht mehr los. Sie zwang sich ruhig zu bleiben. 'Irgendwann muß dem Biest die Luft ausgehen', dachte sie. Ein Gedanke durchzuckte Shirin und sie legte ihren freien Arm um den Hals des Tieres, schlang ihre Beine um seinen Leib, so fest es ging. Das Tier wand sich, Shirin hielt fest und zog es hinab. Sie lockerte ihren Griff auch dann nicht, als sich die Zähne aus ihrem Fleisch lösten. Sie wartete, bis sich ihr Gegner nicht mehr rührte. Schlaff trieb sein Körper im Teich. Vorsichtig drehte sie sich und erhob sich, ein Bein belastend und den Finger am Abzug. Sie schoß.

 

Die Jäger hatten es auf seine Beine abgesehen, wollten ihn zu Fall bringen. Ciro bemerkte ihre Zusammenarbeit. Sie waren ein gut aufeinander eingespieltes Team. Es war ihm nicht gelungen einen weiteren Gegner zu töten. Immer enger zogen die Angreifer ihren Kreis. Einen Sprung von links blockte der Android mit dem Gewehr ab. Im gleichen Moment gleißte ein Laserstrahl in die Nacht. In unregelmäßigen Intervallen wiederholten sich die Schüsse. Eine Gestalt hob sich aus dem Dunkel, ihr Gürtellicht reflektierte grün in den Augen der Angreifer. Shirin stand am Rande des Waldteiches und feuerte. Verunsichert blickten die Tiere von einem zum anderen.

Ciro brach derweil durch die Reihe seiner Gegner, die von Shirin an den Flanken unter Beschuß genommen wurden. Mit wenigen Sätzen hatte er die Frau erreicht, dann wendete er sich um und schoß ebenfalls auf die schattenhaften Feinde. Shirin hielt gleichsam den Abzug gedrückt. Die Entscheidung war gefallen, die Tiere flüchteten ins Unterholz.

"Gerade noch rechtzeitig.", murmelte Shirin und steckte den Blaster weg. Der Android sah sie fragend an, aber es war ihr gleichgültig ob er verstanden hatte. Sie zog die Maske ab und ließ sie achtlos neben sich fallen. Dann seufzte sie und bückte sich nach der Atemmaske, um sie doch einzustecken.So mittellos wie sie im Moment war, konnte sie sich keine Verschwendung leisten Sie schwankte ein wenig und stützte sich mit dem gesunden Arm am Rand der Grube ab. Ciro reagierte sofort und faßte ihre Schulter. "Ich glaube, wir gehen jetzt besser." sagte sie leise. Er half ihr aus dem Tümpel. "Wir sollten verschwinden, ehe sie wiederkommen," stimmte er ihr zu.

Langsam schritten die beiden durch das Gehölz. Shirin hinkte und fror in ihrem schlammig-nassen Overall. Seit sie das eisige Wasser verlassen hatte, begannen die Wunden zu schmerzen. Erschöpfung rollte wie eine Welle über sie hinweg, aber bis sie die Athena erreichten, hatte die Frau sich wieder gefangen.

Auf seiner Inspektion war der Android auch an medizinischen Einrichtungen vorbeigekommen. Er brachte die Frau dorthin und behandelte ihre Verletzungen. Shirin spürte wie sie durch die eingenommenen Medikamente langsam wegdämmerte. "Wie hast du mich eigentlich so schnell gefunden?" fragte sie müde und Ciro klärte sie über den kleinen Sender hinter ihrem Ohr auf. "Diese Anordnung kam damals noch von Mart´hara zur Sicherheit der Familie."

"Nett zu wissen." flüsterte Shirin schon halb im Schlaf.

 

Sie erwachte so zerschlagen und verschwitzt, daß sie sich einen Moment fragte, ob der Traum vom Asteroidenfeld wahr gewesen war. Shirin war durch das Feld geschwebt und hatte dabei immer wieder den Planetoiden ausweichen müssen, was ihr häufig nicht gelungen war. Sie war auf einen Abgrund zugeflogen, dessen rötliches Licht sie zu verschlingen drohte. Dann war ein roter Mond daraus geworden, pulsierend und lebendig. Als sie schließlich näherkommen war, hatte der Mond sich einen gigantischen Schlund mit Zähnen, Wolfszähnen - wie sie plötzlich wußte - verwandelt...

Shirin beschloß weiter zu schlafen. Sollte etwas passieren, würde man sie schon wecken.

 

Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, stand Ciro in ihrer Nähe und kontrollierte die Geräte. Seine Miene war wie immer ausdruckslos.

"Ich bin wieder da." meldete Shirin sich und probierte die Funktion ihrer Glieder. Sie war noch etwas ungelenk, doch die Schmerzen waren erträglich. Der Biß in ihren Arm war bis auf den Knochen gegangen, aber die Wunde war mit flüssigem Ersatzgewebe gefüllt worden, das sich mittlerweile verfestigt hatte. Bis zur natürlichen Heilung würde es die Funktion der Muskeln, Sehnen und Gefäße übernehmen.

Einige Stunden später führte Ciro sie zu der Leiche von Daniels. Gestank erfüllte den ganzen Gang und Shirin hielt sich die Nase zu. Manchmal war es von Vorteil, ein Android zu sein, wie sie mit kurzem Seitenblick auf Ciro bemerkte. Shirin erinnerte sich an Daniels Namen, den sie im Logbuch erwähnt gefunden hatte. Neugierig öffnete sie die angelehnte Tür hinter ihm. Der Verwesungsgestank, der ihr entgegenkam, trieb sie einige Schritte zurück. Ciro war aufmerksam geworden. "Ich glaube, wir haben die Besatzung gefunden" erklärte ihm Shirin bleich.

Selten hatte sie so etwas gesehen. In dem Raum mußte ein regelrechtes Gemetzel stattgefunden haben. Die Körper der Wissenschaftler waren zerrissen, Gliedmaße teilweise abgetrennt. Shirin betrat den Raum und Ciro folgte ihr. Wer oder was auch immer den Menschen dies angetan hatte, mußte von Haß und Wut besessen gewesen sein. Auch der Raum war verwüstet, die karge Einrichtung zertrümmert. Inmitten des Chaos lagen sogar einige Schriftstücke herum. Es waren keine Computerausdrucke, denn Shirin fielen handschriftlichen Zeilen ins Auge. Sie nahm eines der zerrissenen Blätter auf.

"... und so brachten wir die beiden grausam verstümmelten Leichen in die Kühlung um sie später zu bestatten. Wir haben keine Ahnung was geschehen sein könnte in der Nacht. Es sieht beinahe aus als seien Erikson und Meyers von einem Tier angefallen worden. Da wir uns nicht mehr sicher fühlen, haben wir uns in einen der hinteren Lagerräume zurückgezogen. Sie haben dickere Wände und festere Türen als unsere Kabinen. Vielleicht mag es uns auch leichter fallen, der kommenden Nacht gemeinsam entgegen zu treten, nachdem wir schon drei unserer Kameraden verloren haben. Die Nächte der beiden vollen Monde sind ein seltenes und eindrucksvolles Spektakel, für das uns heute aber der Sinn fehlt. Wir haben genug Lebensmittel..."

Shirin und CiroDer Rest des Blattes war abgetrennt. Shirin bat Ciro, ihr alle beschriebenen Blätter zu holen und verließ mit Übelkeit den Raum.

Später versuchten sie die Geschehnisse in der ATHENA zu rekonstruieren. Laut den Aufzeichnungen war einer der Wissenschaftler ermordet aufgefunden worden. Daraufhin hatte man Erikson und Meyers als Wachen abgestellt. Sie hatten ihre Wache nicht überlebt.

Die Schriftstücke brachen ab, kurz nachdem die Gruppe sich auf die folgende Nacht vorbereitet hatte. Man hatte sich im Raum eingeschlossen und gewartet.

"Es muß dieser Daniels gewesen sein, jedenfalls ist er der einzige, der außerhalb des Raumes starb. Doch warum sollte er sich umbringen?" Shirin war ratlos.

"Eigentlich nicht unser Problem!" beschloß sie dann achselzuckend. "Wir sollten machen, daß wir hier fortkommen, sonst hängt man die Sache am Ende noch uns an."

Bald hob sich das kleine Raumschiff in die Umlaufbahn des grünen Planeten und wurde vom schweigenden Weltall geschluckt.

Linda Budinger,1993


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