Unkommerzielles Magazin für Phantastische Literatur und Rollenspiel

Der Menhir 6

Glosse

... zum Aberglauben im Rollenspiel

(Der Junior-Gruppe gewidmet)

Endlich hatte ich es geschafft! Mein alter Kumpel Felix war einverstanden, mich zu einem geheimnisvollen Treffen mitzunehmen. Schon oft hatte ich mich gefragt, was bei diesen Rollenspielabenden eigentlich so abging. Nun würde ich es selbst erleben. Ich hatte schon viel gehört von diesem Spiel, und so überraschte es mich nicht, daß es weder Karten, noch Spielbrett gab.

Aber zuerst will ich einmal die anderen Spieler vorstellen: Außer meinem Freund Felix gab es da noch den Initiator des Spiels, laut Regelbuch respektvoll "Meister" genannt. Nur hat ihn so niemand angeredet-... Die anderen Mitspieler baten mich, anonym zu bleiben, und ich will sie daher nur kurz charakterisieren. Da war also eine junge Frau, eine echte Seltenheit in Spielrunden, wie man mir erzählte. Sie sah einer bekannten deutschen Tennisspielerin ziemlich ähnlich. Daher möchte ich sie des weiteren "Nase" nennen. Sie spielte einen Charakter namens Anastasia, eine Kriegerin. Der vierte im Bunde schließlich war ein nervöser, kleiner Kerl. Er trug eine Sehhilfe in schreienden Farben, deshalb stelle ich ihn als "Brille" vor. Sein Dieb wurde Flex genannt.

Der Spielleiter begann, und seine interaktive Erzählung wurde von den Spielern begeistert aufgegriffen. Schon bald fing es an, spannend zu werden. Das Abenteuerer-Trio wurde nämlich überfallen, und jetzt galt es zu kämpfen, mit Würfeln, versteht sich.

"Das ist kein Problem, das schaff' ich schon." meinte Felix, griff nach dem Würfelbecher und schüttelte. Sein Zaubermönch war ein Könner mit dem Kampfstab....

KlapperKlapper. Patsch. "Mist."

"Ich versuchs auch mal." Nase hob theatralisch den Würfelbecher. "Das sind meine Glückswürfel."

KlapperKlapper. "Oh." meinte sie betreten.

"Gib her." sagte Brille und schnappte sich die Würfel aus dem Becher.

"Wag' es ja nicht. Das sind meine Glückswürfel. Du bringst nur Pech!"

Aber zu spät. Brille hatte schon seinen Wurf getan. "Siehst du!" meinte er grinsend. Flex hatte gekonnt pariert.

"Jetzt hast du sie verseucht," meinte Nase und steckte die Würfel beleidigt wieder ein. "Ich muß sie zuhause abwaschen.- Wann kaufst du dir endlich eigene?"

Nun gut, zumindest war ihren blessierten Spielfiguren die Flucht gelungen.

Auf dem Tisch lagen einige ungewöhnlich hübsche Würfel, die ich mir mal ansehen wollte. So nahm ich mir Felix's Würfelpaar und betrachtete es genauer. Als ich es dann wieder weglegte, traf mich sein vorwurfsvoler Blick.

"Du mußt sie immer so ablegen, wie sie beim nächsten Mal fallen sollen." flüsterte er mir zu.

"Die anderen wissen das nicht, aber so hab' ich immer Glück." Sorgfältig polierte er die marmorierten Gebilde mit seinen Ärmeln und legte sie dann mit der höchsten Ziffer vor sich. Sollte er tatsächlich recht haben? Die nächste Aktion würde das zeigen. Es galt, in ein Haus einzudringen, um Beweise für die Unschuld eines Gefangenen zu bringen. Nun mußten sie also leise und unauffällig einsteigen. Diesmal machte Nase den Anfang. Triumphierend warf sie dem Spielleiter eine Zahl entgegen. "Geschafft! Geschafft!"

"Du bist drin." verkündete er trocken.

Fasziniert beobachtete ich, wie Nase ihre Würfel sorgfältig mittels eines Lineals in den Becher zurückbeförderte. "Damit das Glück sich nicht abnutzt. Ich habe eine Glückssträhne!"

Inzwischen schlichen sie durchs Haus. Jetzt kam Flexs große Stunde. Brille wollte sich Felix's Würfel angeln, aber dieser hielt schützend die Hand darüber. Bei Nase hatte er gar keine Chance mehr.

"Also gut." Quälend langsam drehte er sich um, griff in seine Jackentasche und holte nach einigem Kramen zwei funkelnde Würfel heraus. Die anderen konnten es kaum glauben.

"So, jetzt zeige ich euch mal, wie man den Schrank aufkriegt!"

Er warf eine gelungene Probe. "Neue Würfel, neues Glück, he he!"

Bevor jemand seine Würfel genauer betrachten konnte, steckte er sie wieder ein. "Weg mit euren Fettgriffeln!"

Das Spiel nahm seinen Lauf. Sie hatten es geschafft, die Dokumente zu entdecken, mußten aber leider feststellen, das sie nicht lesen konnten. Also machten sie sich auf die Suche nach einem Schriftkundigen. Die Leute hier in der Stadt waren aber unfreundlich, keiner wollte Auskunft geben. "Probe gegen Charisma," schlug der Spielleiter vor, und alle waren dabei.

Felix patzte abermals, (er sah mich nachher böse an) und auch Nases Glücksträhne schien zuende zu sein. Also war es wieder an Brille, der abermals umständlich in die Tasche griff um die Würfel herauszuziehen.

KlapperKlapper. "Und wieder geschafft!"

Dem Meister fiel glatt die Kinnlade herunter. Dann aber fing er sich schnell wieder und gab Brille die gewünschte Auskunft. Sollte es das gewesen sein? Nein, denn der Richter, dem sie die Dokumente schließlich vorlegten, war korrupt und hetzte die Stadtwachen auf sie.

KlapperKlap-. Mitten in der Bewegung stoppte Nase und wählte zwei rote Würfel aus ihrem Sortiment aus. "Da nehm ich doch lieber die Kampfwürfel."

Sie schaffte es nur gerade eben zu parieren und kassierte einen mittleren Treffer. "Die sind viel zu gut." schmollte sie.

Felix würfelte. Zufällig rollten die Würfel hinter einen Haufen leerer Chipstüten. "Achtzehn " sagte er. Nase konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, hatte sie doch im Gegensatz zum Spielleiter die 'Fünf' gesehen.

Schon wieder kam Brilles Dieb an die Reihe. Das gleiche Ritual: die knisternde Plastiktüte, die glänzenden Würfel. "Ich hab's geschafft."

Tatsächlich! Zum dritten Mal an diesem Abend zeigten seine Würfel den höchsten Wert. Gerade wollte er sie wieder zurückpacken, als der Spielleiter hektisch aufsprang und ihm die Würfel entriß. Er würfelte zwei, drei Mal, immer den höchsten Pasch. "Die sind gewichtet!"

"Stimmt nicht. Ich hab im Geschäft probegewürfelt. Die, die zehnmal hoch waren, hab' ich genommen."

In diesem Augenblick fielen auch die anderen ein.

"Du hast gepfuscht!"

"Betrüger! Betrüger!"

"Die Würfel sind konfisziert!" meinte der Spielleiter. "Wenn sie nicht gewichtet sind, kannst du sie mir ja ruhig weiter verkaufen."

Maulend steckte Brille die Würfel wieder ein. "Naaa guuuut, dann eben nicht."

Da es schon spät war, und alle sich aufregten, brach man den Spielabend ab. -

Leider habe ich nie erfahren, ob sie die Unschuld des Gefangenen beweisen konnten.

 

Linda Budinger  

<zurück zur Homepage>

<zurück zur Übersicht>

<zurück zum Inhaltsverzeichnis>

© Design 04.2000 JPK